Freitag, 29. Juni 2012

Berliner Secession (weiblich)

In unserem Kunstmuseum Schlösschen im Hofgarten beginnt im September eine spannende Ausstellung, zu der neben vielen Werken aus dem eigenen Bestand der Stiftung (Sammlung Wolfgang Schuller) Leihgaben aus deutschen Museen und aus den USA zusammengeführt werden:

Wir sind keine Randnotiz! Käthe Kollwitz und ihre Kolleginnen
in der Berliner Secession (1898-1913)

Donnerstag,  6. September, bis Sonntag, 4. November 2012

Gezeigt werden Gemälde und Grafik von Käthe Kollwitz, Charlotte Berend-Corinth, Sabine Lepsius, Maria Slavona, Dora Hitz, Ernestine Schultze-Naumburg, Julie Wolfthorn, Clara Siewert sowie Plastiken von Renée Sintenis.

Im Anschluss an Wertheim wird die Ausstellung außerdem noch in der Berliner Liebermann-Villa am Wannsee zu sehen sein.

Schlösschen im Hofgarten, 1863 von Theodor Verhas gezeichnet

... und heute, nach der Sanierung

Frommels Freunde (IV)

Ein beliebter Treffpunkt der Wertheimer Runde war in den 1920er und frühen 1930er Jahren das Stübchen im Johannisturm der Wertheimer Burg. Ursprünglich als "Wandervogelbude" durch den Gymnasiallehrer Willy Hellemann und seine Schüler in Beschlag genommen, blieb der Ort auch beliebt bei den Freunden Hellemans, die sich gleich ihm als Georgeaner fühlten und gaben.

Percy Gothein (1896-1944) zog sich ebenso zum Arbeiten nach hier zurück wie sein Freund Wolfgang Frommel (1902-1986), der hier 1931 an seiner Schrift "Der dritte Humanismus" arbeitete. Diese erschien unter seinem Pseudonym Lothar Helbing und fand bei Zeitgenossen große Anerkennung, darunter seinem Freund, dem Orientalisten und preußischen Kultusminister Carl Heinrich Becker (1876-1933).

Es gibt einige zeitgenössische Aufnahmen dieser noch heute existierenden Stube, die aber fast nur den leeren Raum zeigen. Diese Aufnahme ist die einzige mir bekannte, die auch Personen zeigt. Sie stammt aus einem Fotoalbum aus der Familie Schüssler. Der Vater war Amtsgerichtsrat in Wertheim. Der Sohn gehörte in den 1920er Jahren wohl zum Freundeskreis, orientierte sich in den 1930er Jahren jedoch in Richtung Nationalssozialismus und wurde als junger Architekt zu Beginn des Dritten Reiches Schöpfer des Ehrenmals auf dem Kaffelstein in Kreuzwertheim.

Vermutlich zeigt das Foto rechts die Tochter der Familie Schüssler. Die linke Person wird sicher nicht mehr identifiziert werden könnnen. Aber wer könnte der junge Mann in der Mitte sein?


Donnerstag, 28. Juni 2012

Frommel zitiert Jacob Burckhardt

Heute war ich bei einem sehr guten alten Bekannten, der eine ganze Generation älter ist als ich, um mit ihm über das Verhältnis seiner Familie zu Wolfgang Frommel zu sprechen. Es war ein spannender und gewinnreicher Nachmittag drüben, auf der ander anderen Seite des Mains. Der alte Herr las mir etliche Briefe Frommels an seinen Vater und später an ihn selbst vor. Einem guten Vorleser zuzuhören, ist immer ein Gewinn. Es ist anders als das Lesen, unmittelbarer, näher.

In einem Brief vom 21. Juli 1930 aus dem Elternhaus in Heidelberg, wohin er sich vorübergehend aus Berlin wegen einiger Überanstrengungssymptome geflüchtet hat, schreibt der ein paar Tage zuvor 28 Jahre alt gewordene Frommel einige interessante Sätze, die sich auf die Gründungsphase des Berliner Verlages Die Runde zu beziehen scheinen, und ein Zitat Carl Jacob Burckhardts zur Lage Europas bringen, das heute, am Abend des Brüsseler Gipfels, irgendwie in die Landschaft passt.

„Ich helfe zurzeit einem Bekannten bei der (Errichtung?) eines aussichtsreichen und glänzend begutachteten Verlags, wobei es sich um die Beschaffung kleiner, gut verzinster Anteilbeträge handelt. Es ist furchtbar zu sehen, welche unendliche Mühe es kostet, heute in Deutschland trotz vorzüglicher Beziehungen auch nur in beschränktem Maße Kapital zur Arbeit flüssig zu machen. Französische Banken haben ihre Hilfe angeboten, weil sie anscheinend nicht wissen, wohin mit ihrem Geld. Vor einigen Tagen las ich in den Briefen des bedeutenden Basler Gelehrten Jacob Burckhardt an einen Architekten 1881 schon einen Satz, der mir nicht aus dem Kopf gehen will: Mich überkommt bisweilen ein Grauen, die Zustände Europens möchten einst über Nacht in eine Art Schnellfäule überschlagen mit plötzlicher Todesschwäche der jetzigen, scheinbar erhaltenden Kräfte.

Samstag, 23. Juni 2012

Samstagsgeknatter

Den ganzen Winter hatte man sich auf das Frühjahr und den Sommer gefreut. Natürlich auch, weil man immer wieder vergisst, was die Jahreszeit so alles mit sich bringt, die gerade nicht herrscht, und weil man sich deshalb nach ihr sehnt.

So heiß, dass man sich ein bisschen Schnee und Frost mit Sonnenschein gewünscht hätte, war es dieses Jahr bisher noch nicht. Man könnte also den lange ersehnten Sommer entspannt genießen. Auch ich täte dies sehr gern   ̶ wenn ich nicht seit letztem Sommer wieder vergessen hätte, dass der Samstag ja der Tag des obsessiven Rasenmähens in der Nachbarschaft ist. Kaum sitze ich entspannt auf der Terrasse und versuche, ein bisschen zu twittern, geht das Geknattere und Gesurre los. Während ich hier mein Klagelied tippe, fängt obendrein eine Nachbarin an, Teppiche auszuklopfen.

Sieben Millimeter ist ein Maß für den Rasen, über dass sich jemand, der sich seinen weißen Haarkranz alle zwei Wochen auf drei Millimeter kürzen lässt, eigentlich nicht kritisch äußern dürfte. Allerdings hat der fast kahle Kopf kaum Auswirkungen auf Fauna und Flora   ̶ im Gegensatz zum Eingriff ins Grün.

Der Nachbar drei Häuser weiter gegenüber hat es viele Jahre lang eigentlich allen vorgemacht, wie es auch sein kann und wie es sein sollte. Zweimal im Jahr schnitt er seine »wilde« Blumenwiese, die jeder Passant bestaunte wegen ihrer Blütenpracht, und oft hatte man den Eindruck, dass sich alle Bienen und Schmetterlinge der Nachbarschaft bei ihm trafen, ebenso die Amseln bei ihrer offenbar erfolgreichen Suche nach Futter. Ein wunderschönes Stück kultivierter Natur!

Vor ein paar Wochen ist der Nachbar gestorben. Noch merkt man es der Wiese nicht an, an deren mit Blumen bepflanzter Umrandung er sich gärtnernd so oft zu schaffen machte   ̶ die letzten Jahre nur noch im Sitzen, weil der Kreislauf nicht mehr recht wollte. Hoffentlich bietet sich der Witwe kein hilfreicher Nachbar an für einen Sieben-Millimeter-Schnitt der Wiese. Nicht nur wegen des Samstagsgeknatters.

Donnerstag, 21. Juni 2012

Frommels Freunde (III)

Im Schlösschen im Hofgarten in Wertheim am Main befindet sich seit ein paar Jahren, nachdem die Rokoko-Immobilie und der sie umgebende englische Landschaftsgarten vor Abriss und Verwertung gerettet worden sind, ein Kunstmuseum, das drei wichtige Sammlungen beherbergt. Über 70 Gemälde von Mitgliedern der Berliner Secession, dazu Werke der Heidelberger Romantik und eine wertvolle Sammlung von Porcelaine de Paris um 1800 werden hier heute ausgestellt. Siehe auch hier: www.schloesschen-wertheim.de.

Von 1931 bis 1956 lebte der baltendeutsche Baron Edgar v. Heyking in dem Schlösschen, das einst Sommervilla der Grafen und Fürsten zu Löwenstein-Wertheim-Virneburg, später Löwenstein-Wertheim-Freudenberg, gewesen war. Heyking betrieb hier ein Pensionat für externe Schüler des Wertheimer Gymnasiums. Das Haus war zu seiner Zeit außerdem beliebter Treffpunkt eines Freundeskreises um Wolfgang Frommel, Percy Gothein und Willy Hellemann, die allesamt Stefan George nahestanden oder sich ihm nahe fühlten.

Am Schlösschens 1931 (v. l.): Wolfgang Frommel, Prof. Dr. Joachim Wach, Achim v. Akerman

Ein längerer Artikel über diese "Wertheimer Runde" ist 2006 von mir verfasst worden. Weitere Artikel sind 2008, 2010 und 2011 von meiner Schwester veröffentlicht worden. Sie befasst sich mit den Bewohnern des Schlösschen zwischen 1871 und 1996, die hier als Mieter des Fürstenhauses lebten, als die Löwensteins selbst die Immobilie nicht mehr für sich nutzten. In den Artikeln spielen natürlich auch die 25 Jahre Heyking eine Rolle, so dass es Überschneidungen und Ergänzungen zu meinem Artikel gibt.

Interessenten an der Geschichte der "Wertheimer Runde" lasse ich auf Wunsch gern die PDF-Artikel zukommen. E-Mail genügt.

Dienstag, 19. Juni 2012

Frommels Freunde (II)

Dieses Foto aus dem ältesten Album Achim v. Akermans (1909-1945) zeigt den jungen Baltendeutschen (links) mit einem noch nicht eindeutig identifizierten Freund im Wertheimer Melanchthonstift im Agusut 1926. Akerman war selbst von 1919 bis 1924 "Stiftler" gewesen und Schüler des Wertheimer Gymnasiums, konnte aber 1924 mit seiner Familie in die lettische Heimat zurückkehren und besuchte ein Gymnasium in Riga, wo er 1928 das Abitur machte.

Fast jeden Sommer kam er ab 1925 wieder nach Wertheim, zum letzten Mal 1942 mit seiner jungen Frau Rosemarie ("Maja"). Wo er in den ersten Sommern jeweils wohnte, ist nicht bekannt, möglicherweise als Gast im Melanchthonstift. Ab 1931 war er Gast Edgar v. Heykings im Wertheimer Schlösschen im Hofgarten.

"Stift August 1926" (Album A. v. Akermann)
Wer kennt den jungen Mann rechts im Bild?

Frommels Freunde (I, Nachtrag)

Weil Heim Harro Scheiner als Lösung für den Unbekannten auf dem Bild unten angeboten wurde, bringe ich hier zwei Bilder die sich unter dem Titel "Heims Hofchor" in einem privaten Fotoalbum befinden. Sie wurden 1946 in Bronnbach/Tauber aufgenommen und zeigen den Teil der beim Pächter des Fürstlich Löwenstein-Wertheim-Rosenberg'schen Klostergutes beschäftigten Menschen, die sich von Heim Harro Scheiner für seinen Chor rekrutieren ließen.

Das erste Bild zeigt Heim Harro Scheiner (links) mit seinem Chor, darunter dem ebenfalls zum Vorkriegs-Freundeskreis in Siebenbürgen gehörenden Siegfried Baumann (2. v. r.)

Das zweite Bild zeigt denselben Chor mit seinem Dirigenten, dem längsten Mann in der hinteren Reihe, und Siegfried Baumann (hinten, Mitte).

Die Bronnbacher Bilder sind etwa 15 Jahre nach der Leipziger Aufnahme entstanden. Ich erkenne aber in der Schädel- und Profilform keine große Ähnlichkeit zwischen dem Chorleiter und dem Unbekannten aus Leipzig. Ich lasse mich aber gern vom Gegenteil überzeugen.

Deine Krawatte sitzt schief ...

... sagte meine Frau heute Morgen, als sie dieses Bild in unserer Zeitung betrachtete. Recht hatte sie natürlich, denn ich hatte beim Treffen zur Feier meiner goldenen Konfirmation am Sonntag Hemdkragen und Krawattenknoten gelockert und die Krawatte im Blindflug rasch wieder zusammengezogen, als es galt, sich zum Erinnerungsfoto aufzustellen. Immerhin kann man mich nun leicht und ohne weitere Beschreibung auf dem Bild finden. ;)

96 Konfirmanden waren wir am 25. März 1962 in der Wertheimer Stiftskirche gewesen. Elf davon sind in der Zwischenzeit gestorben. Nicht einmal zwei Dutzend kamen am Sonntag zum Festgottesdienst in der Stiftskirche zusammen. Der Rest konnte oder wollte nicht.

Dass man nach 50 Jahren nicht mehr jeden auf Anhieb erkennt (und nicht mehr von jedem erkannt wird), überrascht einen kaum. Damit hatte man ja vorher gerechnet. Viel bestürzender fand ich es, dass ich mich an einige Mitkonfirmanden überhaupt nicht mehr erinnern konnte. Der Name sagte mir nichts, das Gesicht auch nicht, es gab keine Erinnerung. Andere, die man wirklich 50 Jahre nicht gesehen hatte, erkannte man auf Anhieb und sie waren einem sofort wieder präsent. Auch nach einigem Nachdenken bin ich noch nicht wirklich darauf gekommen, worauf diese unterschiedlichen Verknüpfungen im Gehirn letztlich basieren. Alte Sympathie und alte Antipathie scheinen allenfalls eine zweitrangige Rolle zu spielen, wie ich an Beispielen erkennen konnte. An wen erinnert man sich? Warum? Welche Rolle mag dem Zufall zukommen, wenn es ihn denn doch geben sollte?

Foto: Peter Riffenach

Montag, 18. Juni 2012

Frommels Freunde (I)

Der Schriftsteller Wolfgang Frommel (1902-1986) war Schöpfer, Inspirator und Bindeglied einiger Freundeskreise mitteleuropäischer Kulturschaffender, viele von ihnen Georgeaner,  über mehr als die Hälfte des 20, Jahrhunderts. Seit dem Zweiten Weltkrieg lebte er in Amsterdam, wo er zu den Gründern der Literaturzeitschrift Castrum Peregrini gehörte.

Ich habe mich in der Vergangenheit vor allem mit Frommels Wirken in Wertheim am Main beschäftigt. Aus unterschiedlichen Quellen bin ich dabei in den Besitz von Fotografien aus Frommles Freundeskreis gelangt, von denen ich nach und nach einzelne vorstellen möchte, um Hinweise auf (noch) nicht identifizierte Personen zu bekommen.

Wer Angaben zu meinen Fragen machen kann, ist herzlich eingeladen, sich hier im Blog in Form eines Kommentars zum Bild zu äußern oder mit per E-Mail zu schreiben.



Dieses Foto dürfte etwa 1931 entstanden sein, vermutlich in Leipzig. Es zeigt links den baltendeutschen Dichter Achim von Akerman (1909-1945), seinen Doktorvater Prof. Dr. Joachim Wach (1898-1955) und eine dritte Person, die ich bisher nicht identifizieren konnte. Der junge Mann kommt auf verschiedenen Fotos vor, so dass ich vermute, dass er jedenfalls zum Freundeskreis gehört haben wird. Wer kennt den Mann rechts im Bild?

Mittwoch, 13. Juni 2012

Über Sprache und Rechtschreibung

Bürgerbeteiligung und Bürgerdemokratie sind Schlagworte, die in jüngster Zeit an Gewicht gewonnen haben. Für eine der folgenreichsten Anmaßungen von Provinzfürsten und Bürokraten der letzten 20 Jahren kommen moderne Beteiligungskonzepte aber leider zu spät.

Weder die große Mehrheit der Bürger aller deutschsprachigen Staaten noch die Frankfurter Erklärung zur Rechtschreibreform oder der Frankfurter Appell konnten verhindern, dass Ministerpräsidenten und Kultusminister ihren mit Sturheit und bar jeder Einsicht verfolgten Kurs durchhielten. Konsequent beschworen diese – Augen und Ohren zu – ein Dilemma herauf, aus dem bis heute kein Ausweg gefunden ist.

Gestärkt durch die damals kompromisslose Linie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, habe ich seinerzeit für mich beschlossen, mich als angestellter Lokalredakteur zwar notgedrungen den dienstlichen Anweisungen zur Anwendung der Rechtschreibung zu beugen, spätestens im Ruhestand aber wieder nach der alten Rechtschreibung zu schreiben. Ob mir das gelingen wird, wenn es in ein paar Monaten so weit ist? Heute glaube ich eher, dass das nicht mehr möglich sein wird.

Der Preis, den meine Generation, die noch Älteren und alle Jüngeren, die vor der Rechtschreibreform ihr Schulleben hinter sich gebracht haben, zahlen müssen, ist eine große Verunsicherung dort, wo früher einmal Sicherheit war. Was wird auseinander, was zusammen geschrieben? Das weiß heute kein Mensch mehr. Die jeweilige Version des Duden ist die eine Sache, die häufig davon abweichende gemeinsame Rechtschreibung der Presseagenturen und damit fast aller aktuellen Printmedien eine andere. Zum Schluss gelten eben beide Versionen – mal hier, mal dort. Ein kleiner Vorteil: Wir sind alle etwas toleranter geworden gegenüber manch eigenwilliger Schreibweise; sie könnte schließlich richtig sein!

Vielleicht sollte man es wirklich bei diesem Zustand belassen. Angeblich von den Dakota-Indianern stammt die Erkenntnis: Wenn du entdeckst, dass du ein totes Pferd reitest, steig ab! Ist es an der Zeit, dies auf die Rechtschreibungsdebatte anzuwenden? Meine Urgroßmutter Ida Wünderich (1871-1961) schickte mir noch Anfang der 1950er Jahre, bis sie dann fast nichts mehr sehen konnte, zum Geburtstag eine Glückwunschkarte, auf der manches Wort mit "Th" geschrieben war, das nach meinem Verständnis hätte mit "T" geschrieben werden müssen. Sie ist einfach dem einst in der Schule Gelernten treu geblieben und hat sich um die Welt nicht geschert. Die aber auch nicht um sie. Mit ihr und ihrer Generation verschwand das alte "Th", ohne dass es heute noch beweint würde.

Ist es deshalb nicht egal, wie wir etwas schreiben? Ist ein Wort letztlich doch nur eine innerlich bedeutungslose Kombination aus einer Teilmenge von 26 Zeichen? Ich glaube nicht. Reiner Kunze hat das in seiner Schrift "Die Aura der Wörter" (Auszug) dargelegt. Was hindert einen also, nicht doch noch einmal zu kämpfen – in dem kleinen, bescheidenen Rahmen, den man hat? Vielleicht auch ein wenig die Gefahr, sich in zweifelhafter Gesellschaft deutschtümelnder Rigoristen wiederzufinden? Möglich.

In Köthen hat sich in der Folge der so schwer misslungenen und nur notdürftig nachgebesserten Rechtschreibreform eine Institution neu gegründet, deren Namenswahl Programm und Anspruch ist: die Neue Fruchtbringende Gesellschaft. Ob sie je die Bedeutung ihrer Vorläuferin erlangen wird, erscheint in einer modernen Gesellschaft mit ihrer Vielstimmigkeit und ihren Möglichkeiten mehr als fraglich. Ob sie überhaupt Wirkung erzielen kann, hängt auch davon ab, ob es ihr gelingen kann, einflussreiche Literaten und Journalisten für sich zu gewinnen nicht nur den unermüdlichen Reiner Kunze, dessen Rede von 2007 unverändert Gültigkeit besitzt. Allerdings: Reiner Kunze wird nächstes Jahr 80. Es wird Zeit, dass er Verstärkung bekommt, am besten jüngere.