Donnerstag, 28. Juni 2012

Frommel zitiert Jacob Burckhardt

Heute war ich bei einem sehr guten alten Bekannten, der eine ganze Generation älter ist als ich, um mit ihm über das Verhältnis seiner Familie zu Wolfgang Frommel zu sprechen. Es war ein spannender und gewinnreicher Nachmittag drüben, auf der ander anderen Seite des Mains. Der alte Herr las mir etliche Briefe Frommels an seinen Vater und später an ihn selbst vor. Einem guten Vorleser zuzuhören, ist immer ein Gewinn. Es ist anders als das Lesen, unmittelbarer, näher.

In einem Brief vom 21. Juli 1930 aus dem Elternhaus in Heidelberg, wohin er sich vorübergehend aus Berlin wegen einiger Überanstrengungssymptome geflüchtet hat, schreibt der ein paar Tage zuvor 28 Jahre alt gewordene Frommel einige interessante Sätze, die sich auf die Gründungsphase des Berliner Verlages Die Runde zu beziehen scheinen, und ein Zitat Carl Jacob Burckhardts zur Lage Europas bringen, das heute, am Abend des Brüsseler Gipfels, irgendwie in die Landschaft passt.

„Ich helfe zurzeit einem Bekannten bei der (Errichtung?) eines aussichtsreichen und glänzend begutachteten Verlags, wobei es sich um die Beschaffung kleiner, gut verzinster Anteilbeträge handelt. Es ist furchtbar zu sehen, welche unendliche Mühe es kostet, heute in Deutschland trotz vorzüglicher Beziehungen auch nur in beschränktem Maße Kapital zur Arbeit flüssig zu machen. Französische Banken haben ihre Hilfe angeboten, weil sie anscheinend nicht wissen, wohin mit ihrem Geld. Vor einigen Tagen las ich in den Briefen des bedeutenden Basler Gelehrten Jacob Burckhardt an einen Architekten 1881 schon einen Satz, der mir nicht aus dem Kopf gehen will: Mich überkommt bisweilen ein Grauen, die Zustände Europens möchten einst über Nacht in eine Art Schnellfäule überschlagen mit plötzlicher Todesschwäche der jetzigen, scheinbar erhaltenden Kräfte.

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