Samstag, 23. Juni 2012

Samstagsgeknatter

Den ganzen Winter hatte man sich auf das Frühjahr und den Sommer gefreut. Natürlich auch, weil man immer wieder vergisst, was die Jahreszeit so alles mit sich bringt, die gerade nicht herrscht, und weil man sich deshalb nach ihr sehnt.

So heiß, dass man sich ein bisschen Schnee und Frost mit Sonnenschein gewünscht hätte, war es dieses Jahr bisher noch nicht. Man könnte also den lange ersehnten Sommer entspannt genießen. Auch ich täte dies sehr gern   ̶ wenn ich nicht seit letztem Sommer wieder vergessen hätte, dass der Samstag ja der Tag des obsessiven Rasenmähens in der Nachbarschaft ist. Kaum sitze ich entspannt auf der Terrasse und versuche, ein bisschen zu twittern, geht das Geknattere und Gesurre los. Während ich hier mein Klagelied tippe, fängt obendrein eine Nachbarin an, Teppiche auszuklopfen.

Sieben Millimeter ist ein Maß für den Rasen, über dass sich jemand, der sich seinen weißen Haarkranz alle zwei Wochen auf drei Millimeter kürzen lässt, eigentlich nicht kritisch äußern dürfte. Allerdings hat der fast kahle Kopf kaum Auswirkungen auf Fauna und Flora   ̶ im Gegensatz zum Eingriff ins Grün.

Der Nachbar drei Häuser weiter gegenüber hat es viele Jahre lang eigentlich allen vorgemacht, wie es auch sein kann und wie es sein sollte. Zweimal im Jahr schnitt er seine »wilde« Blumenwiese, die jeder Passant bestaunte wegen ihrer Blütenpracht, und oft hatte man den Eindruck, dass sich alle Bienen und Schmetterlinge der Nachbarschaft bei ihm trafen, ebenso die Amseln bei ihrer offenbar erfolgreichen Suche nach Futter. Ein wunderschönes Stück kultivierter Natur!

Vor ein paar Wochen ist der Nachbar gestorben. Noch merkt man es der Wiese nicht an, an deren mit Blumen bepflanzter Umrandung er sich gärtnernd so oft zu schaffen machte   ̶ die letzten Jahre nur noch im Sitzen, weil der Kreislauf nicht mehr recht wollte. Hoffentlich bietet sich der Witwe kein hilfreicher Nachbar an für einen Sieben-Millimeter-Schnitt der Wiese. Nicht nur wegen des Samstagsgeknatters.

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