Nun hat sich herausgestellt, dass alle fünf Jurymitglieder eine meiner beiden eingereichten Geschichten, »Die Nachricht«, auf Platz eins gesetzt haben. Das erfüllt mich natürlich mit herzlicher Freude, auch wenn ich den ersten Preis, einen Wochenendkurs der »Prosawerkstatt« von Frau Anna Kaleri, wegen des Kurstermins im Februar leider nicht selbst wahrnehmen kann.
Hier nun die von der Jury ausgewählte Geschichte, die ich vor dem Einreichen ein paarmal eindampfen musste, bis sie mit 1497 Anschlägen in die Wettbewerbsregeln passte:
Die Nachricht
Sie war der dunkle Typ, dunkelblondes Haar, dunkelbraune Augen, Mitte Dreißig vielleicht oder ein bisschen drüber, jedenfalls sympathisch. Die Frau im weißen Kittel tastete gerade den Bauch meines kleinen Sohnes ab. Wir saßen in ihrem Sprechzimmer im Sonntagsnotdienst der Poliklinik West in Lindenau, Herbst 1983. Beruhigend sprach sie mit ihrer angenehmen Altstimme mit dem Vierjährigen. Mich beruhigte ihre Diagnose. Bauchweh und Durchfall waren nicht weiter schlimm, morgen würde nach ein paar Tabletten alles vorbei sein.
Ein
wenig Schriftkram war noch zu erledigen, und sie schrieb Daten aus meinem
grünen West-Reisepass ab. Als sie plötzlich aufschaute und mir direkt in die
Augen sah, nahm ich ein leises Flackern wahr, ganz hinten, hinter der braunen
Iris. »Ich sehe in Ihrem Reisepass die
Postleitzahl 6980. Ist das nahe bei Heidelberg?«, fragte sie. »Nicht gerade
sehr nahe, aber unser Postbezirk. Ich habe dort studiert.« Ihre Augen prüften
mich einen Moment, bevor sie vorsichtig und ein bisschen zögernd fragte: »Würden Sie meiner Freundin in Dossenheim einen Gruß von mir ausrichten?« Klar,
das würde ich, selbstverständlich würde ich das. Sie nannte Namen und Adresse,
schien erleichtert, es hinter sich gebracht zu haben; mit einem Händedruck
verabschiedeten wir uns.
Die
Freundin freute sich offensichtlich sehr, als ich sie nach meiner Heimkehr noch
abends anrief. Und ich freute mich, für diesen kleinen Dienst genug Vertrauen
gefunden zu haben. – Was für ein Land!
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