Donnerstag, 6. Juni 2013

Gegen das Vergessen

Gedenkfeier am Neuplatz, im Vordergrund die Linie des Abendschattens
der ehemaligen Wertheimer Synagoge. -- Foto: Friedrich Lehmkühler

Unter dem Motto »Gegen das Vergessen« hat sich seit längerer Zeit der Verein »Pro Wertheim« Gedanken gemacht um eine Aufwertung des Gedenkens an die uralte jüdische Gemeinde Wertheims, die mit der Deportation ihrer letzten Mitglieder am 21. Oktober 1940 erloschen ist. Am Platz der ehemaligen Synagoge am Neuplatz gibt es in einer Ecke zwar seit der Neugestaltung des Areals eine Gedenktafel — aber doch sehr versteckt und für den ortsunkundigen Gast leicht zu übersehen.

Das ist nun anders. Ein Lesepult mit den Namen der ermordeten Wertheimer Juden, ein metallener Davidsstern im Blickfeld der Passanten, Informationstafeln am Neuplatz, Zusatzstraßenschilder »Frühere Judengasse« und Gerber- und Wehrgasse sowie die Kenntlichmachung des Abendschattens der 1961 abgerissenen ehemaligen Synagoge durch dunklere Pflastersteine sind erste Maßnahmen, die, gebilligt vom Gemeinderat der Stadt Wertheim und finanziert durch Spenden, die Erinnerung an einen wichtigen Teil der Wertheimer Geschichte tatsächlich aus der Ecke holen.

Am Mittwochvormittag versammelten sich fast 50 Wertheimer am Neuplatz, um mit einer würdigen kleinen Feier die Übergabe des ersten Abschnitts des Projektes »Gegen das Vergessen« an die Stadt Wertheim zu begehen. Umrahmt durch musikalische Darbietungen von Streichern der Jugendmusikschule, sprachen »Pro-Wertheim«-Vorstandsmitglied Werner Peschke sowie Oberbürgermeister Stefan Mikulicz und Johannes Ghiraldin vom Verein zur Erforschung jüdischer Geschichte und Pflege jüdischer Denkmäler im tauberfränkischen Raum e. V. über die Absichten der Initiatoren, die Bedeutung des Erinnerns für die Stadt und über die Geschichte des jüdischen Volkes. Ein Rundgang und ein Verweilen im Gespräch beschlossen die Gedenkstunde.

Es ist ein überfälliger Anstoß, der fast gleichzeitig mit dem Projekt »Stolpersteine« in die Tat umgesetzt wird. Immerhin haben die letzten Wertheimer Juden bereits vor 73 Jahren die Stadt verlassen — unfreiwiilig, verhöhnt, misshandelt und vielfach dem Tode geweiht. Es ist höchste Zeit, dies vor dem Vergessen zu bewahren, wie man an dem Angriff auf einen Rabbiner in Offenbach in dieser Woche und an anderen antisemitischen Umtrieben leicht erkennen kann.

NIE WIEDER!

Montag, 3. Juni 2013

Besser als Kino: Blaumeisen (II)

Eine Änderung des Geschehens der letzten Tage zeichnete sich am vergangenen Freitag ab. Tagelang hatten Zwitschern und  Bettelrufe im Nistkasten hörbar an Lautstärke und Kraft zugenommen. An diesem Morgen, es mag halb zehn gewesen sein, ließ sich das erste Köpfchen am Flugloch sehen. Aufmerksam musterte der Jungvogel die Umgebung, schaute nach allen Seiten und nach unten – und begann, lauthals um Futter zu betteln.

Wo bleibt mein Futter? -- Fotos: Friedrich Lehmkühler
Prompt wird der Nachschub geliefert.

Bis gegen elf Uhr ging es so weiter, bis der Jungvogel erste Anstalten machte, sein Nest zu verlassen. Immer weiter streckte er den Kopf hervor, den gegenüberliegenden Zweig fest im Blick.

Immer weiter kommt der kleine Körper aus dem Flugloch, streckt
sich immer mehr in die Länge ...
... und, schwupps, schon ist der Zweig erreicht. Während auch dort das Betteln
um Futter weitergeht, macht sich das nächste Geschwisterchen abflugbereit.

Die ersten vier Geschwisterchen flogen rasch nacheinander aus. Eine ganze Weile länger brauchte Nummer fünf. Da fehlte es offensichtlich an Mut. Die Beinchen auf den Rand des Flugloches und ab, wie die Geschwister es vorgemacht hatten, das erschien doch zu riskant. Zweimal waren ein Flügel oder sogar beide schon aus dem Nistkasten heraus, doch dann folgte die Flucht nach hinten. Rasch war der Körper wieder im Innern, und die Mutter musste noch ein paar fette Bissen füttern, bis es nach etwa 20 Minuten zum dritten Versuch kam.

Dritter Versuch von Nummer fünf: ganz lang strecken und ...


... doch wieder nicht? ...

... Doch! Endlich!

Geschafft! Stolz wie Oskar und etwas erschöpft sitzt Nummer fünf auf dem
Zweig, während Geschwisterchen Nummer sechs noch einmal gefüttert wird.

Nachdem es schließlich doch geklappt hatte, folgte der sechste Jungvogel wenige Minuten später, ohne zu zögern. Doch dann war nach insgesamt etwa einer Dreiviertelstunde erst einmal Schluss. Nummer sieben ließ zweifelsfrei erkennen, dass Ausfliegen nicht auf dem Programm stand. Das Köpfchen war zwar zu sehen, aber die Schnabelspitze ragte keinen Millimeter aus dem Flugloch heraus. Trotz eifrigen Fütterns durch die Mutter war bald klar: Der Flugtag war vorbei.

Düsteres Regenwetter am Samstag mit wahren Wolkenbrüchen schien kein gutes Flugwetter zu sein. Zwar lieferte Mutter Blaumeise den ganzen Tag kleine Raupen und Insekten, doch die Jungen – nach dem Konzert aus dem Innern wohl mehr als eines – blieben unsichtbar. Viertel nach acht am Sonntagmorgen sah man erstmals wieder ein Köpfchen am Flugloch. Bald streckte es sich weiter hervor, und kaum dass man sich versehen hatte, saß es auf dem Zweig vor dem Nistkasten. Nummer acht folgte rasch nach, die Mutter schaute noch einmal in den Nistkasten, ob wirklich alles leer sei – und schon war Familie Blaumeise entschwunden.

Für das unbeschwerte Terrassenleben, ohne dass man Sorge haben müsste, die kleinen Gäste zu stören, fehlt nun nur noch das passende Wetter. Der Sommer darf kommen.

Besser als Kino: Blaumeisen (I)

In den letzten Wochen herrschte vor unserem Küchenfenster Hochbetrieb und zwar bei dem Nistkasten, den wir im zeitigen Frühjahr in nur etwa 2,20 Meter Höhe so aufgehängt hatten, dass man ihn von der Küche, aber auch vom Essplatz im Wohnzimmer aus gut beobachten kann. Die Frage war nur, ob ein Paar der zahlreichen Singvögel, die wir den ganzen Winter über in ähnlicher Höhe und Entfernung vom Haus reichlich gefüttert hatten, so nah brüten würde. Zur Not gab es ja noch den in etwa 3,50 Meter Höhe in einigen Metern Entfernung angebrachten Nistkasten, in dem schon im vorigen Frühjahr ein Blaumeisenpaar gebrütet hatte.

Ende März, Anfang April sah man dann plötzlich drei Blaumeisen in den Büschen und Bäumen vor dem Haus. Es herrschte rege Geschäftigkeit, man jagte sich, man war aufgeregt. Offensichtlich balzten zwei Männchen um die Wette um die Gunst einer Meisendame. Das ging ein paar Tage, bis nur noch zwei Vögel zu sehen waren, die sich nun mit der Paarung beschäftigten. Sie hatten den neuen Nistkasten inspiziert und offenbar akzeptiert. Denn bald schon begann eifriger Flugbetrieb, bei dem allerlei Polstermaterial durchs Flugloch hineingetragen wurde.

Wann genau das Brüten begann, haben wir nicht ganz exakt mitbekommen. Man sah die Altvögel gelegentlich ein- und ausfliegen. Das Gelege blieb aber nie länger als vielleicht fünf Minuten allein, bevor es wieder gewärmt wurde. Mitte Mai schlüpften dann die Jungen. Man konnte es an einem plötzlich dramatisch ansteigenden Flugbetrieb ablesen: Hungrige Mäuler mussten gestopft werden.

Füttern von Sonnenaufgang bis zum Abend:
Altvogel vor dem Nistkasten -- Fotos: Friedrich Lehmkühler

Der Partner ist auch da ...

... hinein mit der Beute, die Kinder rufen ...

... und ab zum nächsten Einsatz!