Mittwoch, 26. Dezember 2012

Heykings Adressbuch (V)

Unter dem Buchstaben E finden sich nur zwei Eintragungen im Adressbuch von Edgar Baron Heyking (1891-1956). Von dem ersten, Prof. Emge, weiß ich nur, dass nach dem Krieg Alexandra Röhl, die aus Berlin gekommene Mutter des sehr jung in Russland gefallenen Heyking-Zöglings und Åkerman-Freundes Thülö Röhl, in seinem Hause wohnte. Ob er in irgendeiner Weise selbst dem Freundeskreis verbunden war, ist mir unbekannt. Den zweiten, Prof. Elze, kenne ich gar nicht. Wer weiß etwas?


Mittwoch, 19. Dezember 2012

Heykings Adressbuch (IV)

Im Adressbuch von Edgar Baron Heyking nimmt der Buchstabe D nur wenig Platz ein. Nachdem mir einige sehr erhellende Zuschriften zum Buchstaben B inzwischen zugegangen sind (herzlichen Dank für alle Mails!), will ich heute mit D fortfahren. Es gibt drei Einträge. Zu keiner der drei Personen ist bisher bekannt, in welcher Beziehung sie zu Heyking oder gar dem Wertheimer Freundeskreis standen. Hier ist wieder jede Hilfe willkommen.

Bei der ersten Adresse könnte es sich um eine Eintragung aus Heykings Jahren vor seiner Wertheimer Zeit, also vor 1925, handeln. Die Schreibschrift und die Verwendung von Feder und Tinte in der charakteristischen Farbe deuten auf diesen Zeitraum hin, wie sich aus anderen Einträgen schließen lässt, die eindeutig diesen frühen Jahren zugeordnet werden können. Der Adresszusatz »Gartenhaus« könnte darauf hindeuten, dass es sich bei Frau v. Dühren um eine Baltendeutsche gehandelt haben könnte, wie sie damals in großer Zahl, enteignet und oft völlig mittellos, in Deutschland Aufnahme fanden. Heyking selbst und auch die Åkermans gehörten ja ebenfalls zu diesem Kreis.

Zu den beiden anderen Adressen habe ich zunächst keine eigene Vermutung.



Sonntag, 16. Dezember 2012

Heykings Adressbuch (III)

Hier folgt der letzte Teil des Buchstabens B aus dem Adressbuch von Edgar v. Heyking (1891-1956), der allein sechs Seiten belegt. Die meisten dieser Eintragungen unter B konnten jedoch bereits zugeordnet werden. Beim Rest erhoffe ich mir Hilfe aus dem Kreis der Leser dieses Blogs.

Ich vermute, dass es sich bei dem Eintrag H. J. Brandt um jenen Freund Wolfgang Frommels handelt, zu dessen Hochzeit dieser nach der Beerdigung Heykings in Wertheim gefahren ist. Frommel erwähnt diesen Umstand in einem Brief an seine Mutter. Ein junger Arzt namens Brandt gehörte nach den Erinnerungen des Wertheimer Stadtarchivers i.R. Erich Langguth auch zu den Begleitern Frommels, als dieser kurz nach dem Krieg Langguths Vater Otto in Kreuzwertheim besuchte, der mit Frommel seit dessen Gymnasiastenzeit freundschaftlichen Kontakt hielt.


Der nächste Auszug zeigt drei Adressen, von denen die erste bisher gar nicht zugeordnet werden konnte, es gibt auch keine Vermutung. Die zweite, v. Buchholtz, gehört vermutlich zu den zahlreichen baltendeutschen Adelsfamilien, die sich im Adressbuch finden und die zu einem guten Teil zur Verwandtschaft Baron Heykings zählen.

Interessanter erscheint mir der unten genannte Clemens Brühl, der sowohl über das Baltikum als auch über Wolfgang Frommel mit Heyking verbunden gewesen sein könnte. Jedenfalls hat ein Clemens Brühl 1941 in Berlin ein Buch veröffentlicht unter dem Titel Die Sagan, das Leben der Herzogin von Sagan, Prinzessin von Kurland. Die Herzogin entstammte den baltendeutschen Familien v. Biron und v. Medem, die, wenn nicht gar verwandt, dann doch mit den Heykings bekannt waren. Die Burschenschaft der Bubenreuther in Erlangen führt einen Clemens Brühl auf, der ihr seit 1951 angehört. Weiter vermerkt die Burschenschaft auf ihrer Internetseite zu Brühl: Schule: International Quaker-School, Eerde Ommen (Niederlande). Hochschule(n): Amsterdam, Erlangen. Dies nährt meine Vermutung und Hoffnung, dass jemand mehr zu Brühl weiß.


Der letzte hier vorzustellende Eintrag unter B betrifft Gotthardt de Beauclair, den die Witwe Achim v. Åkermans als einen der Freunde ihres Mannes bezeichnet hat, vermutlich aus der Leipziger Studentenzeit Anfang der 1930er Jahre. Höchstwahrscheinlich handelt es sich um den aus Ascona stammenden Verleger, Lyriker und Buchgestalter Gotthard de Beauclair (1907-1992). Stand er, außer dass er ein Freund Åkermans war, in einer Beziehung zum Wertheimer Kreis?




Heykings Adressbuch (II)

Heute stelle ich drei Einträge vor, die sich in Baron Heykings Adressbuch unter dem Buchstaben B befinden. Alle drei gelten Personen, deren Beziehung zu Heyking noch unklar ist, weshalb ich für jeden Hinweis dankbar bin.

Etwas rätselhaft erscheint mir, warum er Frau Dr. Wolff unter dem Buchstaben B angelegt hat. Mir ist der Name Wolff in den engeren oder weiteren Zusammenhängen der Wertheimer Runde bisher nur einmal begegnet. Die Witwe Achim v. Åkermans erzählte mir, dass einer der Freunde ihres Mannes ein Thilo v. Wolff gewesen sei, der ihn unter anderem 1943 (wohl im Lazarett in Goldberg/Schlesien) besucht habe. Sie wusste aber nicht, ob Wolff ein Freund aus Wertheimer Tagen gewesen sei. Sie erwähnte den Namen auch mit Adelsprädikat, Heyking ohne. Ein Zusammenhang bleibt also vorerst unklar.



Freitag, 14. Dezember 2012

Heykings Adressbuch (I)

Kürzlich habe ich, wie schon berichtet, mit einem Wertheimer Zeitzeugen das Adressbuch Edgar Baron Heykings durchgesehen. Bei einer Reihe von Einträgen, die teilweise bis in die erste Hälfte der 1920er Jahre zurückgehen, konnte aber auch dieser Zeitzeuge nichts beitragen. Sicher werden sich nicht alle Fragezeichen hinter den Eintragungen beseitigen lassen, aber vielleicht kann doch jemand von den Lesern dieses Blogs etwas beitragen.

Die erste Adresse, die ich heute zeige, wurde vermutlich erst nach dem Zweiten Weltkrieg eingetragen, denn sie steht im Adressbuch hinter einer Hamburger Adresse der Witwe des Dichters Achim v. Åkerman (1909-1945), die dorthin erst 1946 von Wertheim aus gezogen ist.

Kann jemand zu dieser Adresse in der Schweiz etwas sagen?


Mittwoch, 5. Dezember 2012

69 x Berliner Secession

Im Rahmen eines festlichen Aktes am  gestrigen Vormittag im Gartensaal des Wertheimer Schlösschens im Hofgarten hat der verdienstvolle Wertheimer Kunstsammler Wolfgang Schuller seine Kunststiftung Wolfgang Schuller durch Zulegung, wie es im Juristendeutsch heißt, in die kommunale Stiftung Schlösschen im Hofgarten eingebracht. Die beiden Vorsitzenden der Stiftungsvorstände, Wolfgang Schuller und der Wertheimer Oberbürgermeister Stefan Mikulicz, unterzeichneten die entsprechenden Verträge.

Das Schlösschen im Hofgarten, das 2006 nach Rettung vor dem Abriss, Erwerb durch die Stadt Wertheim und kompletter Sanierung als Kunstmuseum eröffnet worden ist, befindet sich samt dem umgebenden Vier-Hektar-Landschaftpark im Eigentum der gleichnamigen Stiftung. Es beherbergt drei Kunstsammlungen, darunter die jetzt ins Eigentum übernommene Kunststiftung Wolfgang Schuller, die 69 Werke namhafter Künstler der Berliner Secession umfasst.

Foto: Michael Geringhoff
Das Foto zeigt die feierliche Unterzeichnung der Verträge durch Wolfgang Schuller (vorn links) und Oberbürgermeister Stefan Mikulicz. Zeugen der Zeremonie sind dahinter (von links): der Geschäftsführer der Stiftung Schlösschen im Hofgarten, Bürgermeister Wolfgang Stein, Museumsdirektor Dr. Jörg Paczkowski, das Mitglied des Kuratoriums der bisherigen Kunststiftung Wolfgang Schuller, Birgit Schulte-Modrow, der Vorsitzende dieses Kuratoriums, Dr. Christoph Ackermann, sowie der Unternehmer, Mäzen und Ehrenvorsitzende des Förderkreises, Ehrenbürger Helmut Schöler.

Sonntag, 2. Dezember 2012

Lindenauer Taschentuchgeschichte

Am 19. September hatte ich hier über einen Kurzgeschichtenwettbewerb im Leipziger Stadtteil Lindenau berichtet und über einen Zufall, der es mir ermöglichte, mich daran zu beteiligen. Gestern Abend hat nun die Vorstellung der Geschichten, jede mit maximal 1500 Anschlägen, in Lindenau stattgefunden — und die Bekanntgabe der Preisträger durch die Jury. Ich hatte aus Termingründen die Einladung, die mich kürzlich erreicht hatte, leider absagen müssen.

Nun hat sich herausgestellt, dass alle fünf Jurymitglieder eine meiner beiden eingereichten Geschichten, »Die Nachricht«,  auf Platz eins gesetzt haben. Das erfüllt mich natürlich mit herzlicher Freude, auch wenn ich den ersten Preis, einen Wochenendkurs der »Prosawerkstatt« von Frau Anna Kaleri, wegen des Kurstermins im Februar leider nicht selbst wahrnehmen kann.

Hier nun die von der Jury ausgewählte Geschichte, die ich vor dem Einreichen ein paarmal eindampfen musste, bis sie mit 1497 Anschlägen in die Wettbewerbsregeln passte:

Die Nachricht

Sie war der dunkle Typ, dunkelblondes Haar, dunkelbraune Augen, Mitte Dreißig vielleicht oder ein bisschen drüber, jedenfalls sympathisch. Die Frau im weißen Kittel tastete gerade den Bauch meines kleinen Sohnes ab. Wir saßen in ihrem Sprechzimmer im Sonntagsnotdienst der Poliklinik West in Lindenau, Herbst 1983. Beruhigend sprach sie mit ihrer angenehmen Altstimme mit dem Vierjährigen. Mich beruhigte ihre Diagnose. Bauchweh und Durchfall waren nicht weiter schlimm, morgen würde nach ein paar Tabletten alles vorbei sein.

Ein wenig Schriftkram war noch zu erledigen, und sie schrieb Daten aus meinem grünen West-Reisepass ab. Als sie plötzlich aufschaute und mir direkt in die Augen sah, nahm ich ein leises Flackern wahr, ganz hinten, hinter der braunen Iris. »Ich sehe in Ihrem  Reisepass die Postleitzahl 6980. Ist das nahe bei Heidelberg?«, fragte sie. »Nicht gerade sehr nahe, aber unser Postbezirk. Ich habe dort studiert.« Ihre Augen prüften mich einen Moment, bevor sie vorsichtig und ein bisschen zögernd fragte: »Würden Sie meiner Freundin in Dossenheim einen Gruß von mir ausrichten?« Klar, das würde ich, selbstverständlich würde ich das. Sie nannte Namen und Adresse, schien erleichtert, es hinter sich gebracht zu haben; mit einem Händedruck verabschiedeten wir uns.

Die Freundin freute sich offensichtlich sehr, als ich sie nach meiner Heimkehr noch abends anrief. Und ich freute mich, für diesen kleinen Dienst genug Vertrauen gefunden zu haben. – Was für ein Land!

Mittwoch, 28. November 2012

Rentnerglück winkt!?!

Nun ist es also vollbracht. Der vergangene Mittwoch, der 21. November, war mein letzter Arbeitstag in der Redaktion der Wertheimer Zeitung, der mit einer kleinen Ausstandsfeier im benachbarten Café endete. Der Rest der Woche galt dem Ausräumen und Sichten der zahllosen Unterlagen und Notizen aus Schreibtisch und Schränken, die sich dort in den letzten fast 23 Jahren über jede zwischenzeitliche Aufräumaktion gerettet hatten und nun zu einem großen Teil geschreddert werden mussten, um Informanten und Lieferanten vertraulicher Unterlagen nicht zum Schluss noch in die Bredouille zu bringen. Mit Überlassung meines Büros, aller Schlüssel und meines schönen Dienstparkplatzes in der Tiefgarage unterm Wertheimer Schlossberg an meinen Nachfolger als Redaktionsleiter fand der vor ein paar Wochen begonnene Abnabelungsprozess nun sein Ende.

Gestern Abend gab es noch noch ein Gänseessen für die Kollegen, mit denen ich unter demselben Dach zusammengearbeitet habe, in der im weiten Umkreis berühmten Dorfwirtschaft »Stern« im Nachbardorf Michelrieth. Und dann war es plötzlich da, das Rentnerleben! Zum Glück sind die Hoffnungen und Erwartungen daran jedenfalls rosiger als der grauenhafte Ausdruck »Rentner«, der ja unmittelbar die Assoziation »altes Eisen« hervorruft. Egal! Ich freue mich auf die hoffentlich noch reichliche Zeit vor mir.

Damit Müßiggang gar nicht erst aufkommt (was wegen der langen Liste anstehender »Hausmeisterarbeiten« ohnehin schwierig wäre), habe ich gleich heute einen ersten Termin als Rentner wahrgenommen, einen sehr angenehmen natürlich, wie man sich das so wünscht. Ich habe nämlich mit einem bekannten Wertheimer, der ein Freund von Edgar Baron Heyking (1891-1956) war, das auf ihn gekommene Adressbuch des Barons durchgeblättert, das dieser seit spätestens 1924 geführt hatte. Viele bekannte Namen des Wertheimer Kreises und anderer Georgeaner tauchen darin ebenso auf wie ein Querschnitt durch den baltendeutschen Adel. Natürlich finden sich auch die Adressen vieler Zöglinge des Heyking'schen Pensionates wieder, zu denen nach dem Krieg auch der heutige Besitzer des Adressbuches gehört hatte. Eine Stunde und 52 Minuten Tonaufzeichnung sind dabei herausgekommen, bis bei einem Glas ausgezeichneten Rotweins über alle Namen von A bis Z wenigstens ein Satz, häufig aber auch sehr viele erzählt worden waren.

Wissen sichern ‒ das ist eine der Aufgaben, die ich mir in Bezug auf den Wertheimer Freundeskreis zwischen den Kriegen und im ersten Nachkriegsjahrzehnt vorgenommen habe für die neue Zeit vor mir. Sie hat gerade eben begonnen.

Dienstag, 25. September 2012

Auch Nr. 23 ist geschafft!

Es ist geschafft. Zum 23. Mal ist die alljährliche Beilage der Wertheimer Zeitung zur Michaelis-Messe unter meiner Verantwortung entstanden – und seit heute gedruckt. 88 Seiten, je zur Hälfte von Redaktion und Anzeigenabteilung belegt, sind bereit zur Auslieferung. Am Donnerstag und Freitag wird die Beilage an alle Haushalte in den Einzugsgebieten der Redaktionen Wertheim, Miltenberg und Marktheidenfeld verteilt werden.

Es war auch diesmal nicht anders als in all den Jahren zuvor: Zum Schluss geht derjenige, der knapp vier Wochen lang alles geplant, gesteuert, redigiert und technisch bearbeitet hat, regelrecht auf dem Zahnfleisch, ausgepowert, urlaubsreif. Doch eines war nicht wie immer. Für mich war dieses Mal das letzte Mal, bevor das seit dem 1. Juni 1970 ununterbrochene Arbeitsleben demnächst sein Ende findet.

Unter den 18 redaktionellen Artikeln der Beilage sind auch diesmal wieder eine ganze Reihe für den historisch und/oder kulturell interessierten Leser gedacht, wie man sie in diesem Umfang und in dieser Form in der laufenden Tageszeitung so gut wie gar nicht unterbringen kann.

So schreibt Wolf Wiechert, dessen Wahlheimat Wertheim-Nassig im nächsten Jahr den 800. Jahrestag der ersten urkundlichen Erwähnung feiert, in literarischer Form, garniert mit zwei Gedichten, über Mergart. Sie war die erste mit Namen überlieferte Nassigerin. Anlass war ihre Entlassung aus der Leibeigenschaft im frühen 13. Jahrhundert. Und er schreibt über einen uralten Weg, dessen Spuren im Rasen seines Gartens in sommerlichen Trockenphasen regelmäßig sichtbar werden.

Über die Geschichte markanter Häuser in der Wertheimer Altstadt und über eine heute vergessene mildtätige Stiftung des 18. Jahrhunderts, die bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts bestand,  hat Stadtarchivar i. R. Erich Langguth, der übrigens Anfang Dezember 89 Jahre alt wird, drei Beiträge geliefert.

Der Würzburger Historiker Dr. Robert Meier hat sich mit der erstaunlich prosperierenden Lage der Wertheimer Gastwirtschaften mitten im Dreißigjährigen Krieg befasst. Und die Wertheimer Kunsthistorikerin und Volkskundlerin Dr. Marion Diehm hat die Geschichte des einstigen Wertheimer Flussschwimmbades am Main erkundet. Museumsdirektor Dr. Jörg Paczkowski hat sich mit dem Tod des Wertheimer Fürsten Dominik Marquard beschäftigt, den dieser 1735 mitten im venezianischen Karneval fand – der Sage nach durch Mörderhand mit einem gläsernen Dolch.

Gerd Brander, ein begnadeter Wertheimer Hobbyfotograf mit Hang zum Großformat, hat diesmal zu einer kleinformatigen digitalen Infrarotkamera gegriffen, um die über 800-jährigen Wandmalereien auf der Gamburg bei Wertheim, übrigens die ältesten profanen Malereien nördlich der Alpen, unter neuen Aspekten zu dokumentieren. Da er auf das Großformat aber nicht ganz verzichten mochte, gibt es eine weitere Seite von ihm mit Aufnahmen des versteckt gelegenen und kaum bekannten herrschaftlichen Renaissancebaus der Eulschirbenmühle, die an der Tauber zwischen Gamburg und dem Kloster Bronnbach liegt und einer der zahlreichen mittel- und westeuropäischen Schauplätze der Melusinensage ist.

Meine Schwester Sabine, Gründerin und Inhaberin der Kulturwerkstatt Tübingen, hat drei Artikel beigesteuert. Ihr Hauptartikel befasst sich mit den zahlreichen Menschen, die während des Zweiten Weltkriegs und danach Notquartier oder Unterschlupf im Kreuzwertheimer Schloss des Fürstenpaares Udo und Margarete zu Löwenstein-Wertheim-Freudenberg fanden, der Großeltern des heutigen Fürsten Ludwig. Über einen dieser Gäste, einen Cousin Fürst Udos, den Generalmajor und Ritterkreuzträger Alexander v. Pfuhlstein und seine Verbindungen zu den Attentätern vom 20. Juli 1944 hat sie einen eigenen Artikel verfasst. Ein weiterer Artikel beschäftigt sich mit dem Exponenten der Bekennenden Kirche in Wertheim in den 1930er Jahren, Pfarrer Adolf Meerwein.

Der Reigen der kulturhistorischen Beiträge schließt sich mit meinem Aufsatz über Wolfgang Frommel und seine Beziehungen zu zwei Wertheimer Familien Langguth. Er basiert auf Gesprächen mit Erich Langguth und auf Briefen aus 60 Jahren, aus denen er mir vorgelesen hat.

Weitere Aufsätze über Fledermäuse (Karin Hasenstab), Wassermühlen in Wertheim und Umgebung (Rainer Raffel), die Arbeit des Amtsgerichts Wertheim (Siegfried Albert), Orte des Lärms und der Stille in Wertheim (Günter Herberich) und das persönliche Erleben der deutschen Einheit (Gusti Kirchhoff) runden die Beilage ab.

Mittwoch, 19. September 2012

Wer kennt Lindenau?

Ein westlicher Stadtteil  Leipzigs verbirgt sich hinter diesem Namen. Das wäre nicht weiter erwähnenswert, gäbe es dort nicht die Prosawerkstatt Anna Kaleris, einer Literaturwissenschaftlerin und Schriftstellerin, die just dieser Tage ihren neuen Masuren-Roman »Der Himmel ist ein Fluss« veröffentlicht.

Ein neues Stadtteilprojekt der Prosawerkstatt und anderer Lindenauer Einrichtungen ist in meinem Augen eine sehr hübsche Idee. Jeder ist aufgefordert, sich an der Einreichung von »Lindenauer Taschentuchgeschichten« zu beteiligen. Diese dürfen maximal 1500 Anschläge umfassen, damit sie auf ein altes Taschentuch gedruckt werden können, das man dann zum Preis von zwei Euro erwerben kann. Auch um Taschentuchspenden dafür wird gebeten.

Der Ursprung dieser hübschen Idee scheint in der örtlichen Kneipe »Taschentuchdiele« zu liegen. So nannten die Lindenauer die »Julius Hoffmann Bierstuben« in der Eisenbahnstraße, weil hier früher die Lampenschirme mit karierten Taschentüchern überzogen waren.

Nun hat nicht jeder in seinem Leben mit Lindenau zu tun und würde sich deshalb vielleicht schwer tun, eine Taschentuchgeschichte zu schreiben. Aber mancher hat auch Glück. Wie ich. Als ich nämlich im Herbst 1983 mit meinem damals vierjährigen Sohn Uwe in Leipzig war, bekam dieser über Nacht Bauchweh und Durchfall. Weil der nächste Morgen ein Sonntagmorgen war, mussten wir zur Notfallambulanz in die Poliklinik West hinausfahren, und die lag im Stadtteil Lindenau. Zwei Taschentuch-Kurzgeschichten sind fast 30 Jahre später aus diesem Tag entanden, die eine nach einiger Feilerei 1497 Zeichen lang, die andere 1498.

Nun heißt es abwarten und Tee trinken. Aber das Wichtigste ist ja erledigt: ein schönes Projekt zu unterstützen.

Dienstag, 11. September 2012

Happy Birthday, Gisèle!

Heute feiert in Amsterdam Gisèle van Waterschoot van der Gracht ihren 100. Geburtstag. Große Zeitungen wie die FAZ oder Die Welt, dazu Rundfunk und Fernsehen, würdigen in diesen Tagen ihr langes und so reiches Leben als Künstlerin und als ganz außergewöhnlicher Mensch.

Ihr Haus in der Herengracht 401 war es, das in den Kriegsjahren der deutschen Besetzung der Niederlande zu jenem Castrum Peregrini wurde, das heute ein Mythos und eine Chiffre für Menschlichkeit, Freundschaft, Kunst und Kultur ist. Wolfgang Frommel fand hier bei Kriegsbeginn Unterschlupf – und blieb bis zu seinem Tode 1986. Gisèle und er boten hier während des Krieges jungen »Untertauchern«, viele von ihnen jüdischer Herkunft, Schutz und Heimat.

Bald nach dem Krieg waren es Gisèle, Wolfgang Frommel und weitere Freunde, die in der Herengracht 401 den Verlag Castrum Peregrini gründeten und die gleichnamige Zeitschrift herausgaben, die 56 Jahre lang erscheinen sollte, bevor sie 2008 eingestellt wurde. In besonderer Weise dem Erbe und der Rezeption Stefan Georges und seines Umfeldes verbunden, war sie gleichzeitig geistige Klammer einer großen Freundesrunde im alten Europa.

Gisèle ist die letzte Überlebende aus den Gründerjahren, und man darf dankbar sein, dass sie unter uns ist. Ich erinnere mich sehr gern an unser einziges Zusammentreffen und ein etwa einstündiges Gespräch über ihr Leben und über Wolfgang Frommel inmitten ihrer Bilder, als ich gemeinsam mit meinem Wertheimer Freund Wolf Wiechert im November 2009 anlässlich einer Ausstellung von Gisèles Werken im Castrum Peregrini sein durfte.

Heute feiern wir Gisèles 100. Geburtstag und werden auch in Wertheim das Glas auf sie erheben. Herzlichen Glückwunsch, Gisèle!

Gisèle und meine Wenigkeit 2009 im Castrum Peregrini. (Foto: Wolf Wiechert)

Werke Gisèles in ihrer Ausstellung 2009.

Selbstbildnis Gisèles.

Freitag, 7. September 2012

Spätsommerabende

Zwei großartige Abende haben wir in Wertheim erlebt – am Dienstag und gestern. Großartig von A bis Z, denn zum Schluss stimmte auch noch das Wetter. Die beiden Abende stehen am Anfang der sehenswerten Ausstellung »Sie sind keine Randnotiz! Käthe Kollwitz und ihre Kolleginnen in der Berliner Secession (1898-1913)« im Wertheimer  Museum Schlösschen im Hofgarten.

Eine Preview-Veranstaltung am Dienstagabend für die Mitglieder des Förderkreises Schlösschen im Hofgarten hatte rund 40 Prozent der Mitglieder in den Gartensaal des Schlösschens gelockt. Die Kuratorin der Ausstellung, Prof. Dr. Ulrike Wolff-Thomsen aus Kiel, gab dabei gemeinsam mit dem Hausherrn, Museumsdirektor Dr. Jörg Paczkowski, kurzweilige und spannende Einblicke in das Entstehen einer so anspruchsvollen Ausstellung. Nach einem Rundgang durch die Ausstellung gab es auf der Terrasse des zum Park des Schlösschens gehörenden Gärtnerhauses einen Empfang, der sich zu einem heiteren, anregenden, beschwingten, unvergesslichen Sommerabend auswuchs. Der ausgeschenkte Wein mag dabei geholfen haben, die eigentliche Basis aber war die positive Grundstimmung, die offenkundig alle aus der Ausstellung mitgenommen hatten. Jeder hatte nach den im Saal und in den Kabinetten des Schlösschens gesammelten Eindrücken das Gefühl, dass hier nicht nur etwas ganz Besonderes entstanden war, sondern dass nach den kaum weniger interessanten Ausstellungen der letzten Jahre wie etwa der über Max Liebermann und norddeutsche Secessions-Mitglieder eine neue Stufe erklommen worden war. Einer der Stifter, der in die Stiftung Schlösschen im Hofgarten über 70 Werke von Künstlern der Berliner Secession eingebracht hatte, sprach gar davon, dass man nun wohl »einen Durchbruch« geschafft habe.

Gestern Abend nun wurde es zum Schluss ähnlich spät auf der Terrasse des Café-Restaurants im Gärtnerhaus – und ähnlich stimmungsvoll. Zur offiziellen Eröffnung der Ausstellung waren rund 160 Besucher in den Gartensaal gekommen, um die ausgezeichnete Einführungsrede der Kuratorin zu hören und einen ersten Blick auf die Bilder der Künstlerinnen Julie Wolfthorn, Dora Hitz, Sabine Lepsius, Käthe Kollwitz, Ernestine Schultze-Naumburg, Clara Siewert, Maria Slavona, Hedwig Weiß und Charlotte Berend-Corinth zu werfen. Zumindest die Einheimischen werden sich wohl alle vorgenommen haben, die Ausstellung, die bis Anfang November dauert, noch einmal in Ruhe gemeinsam mit dem Partner anzuschauen.

Unter den 160 Gästen waren auch zwei aus Amsterdam, die der Einladung nach Wertheim gefolgt waren. Michael Defuster und Lars Ebert von der Stiftung Castrum Peregrini hatten den langen Weg in Kauf genommen, um die Ausstellung zu sehen und um gemeinsame Projekte mit Wertheimer Freunden zu besprechen, die ihren Ursprung in der Tatsache finden, dass das Schlösschen zwischen 1931 und 1956 auch Treffpunkt und Bezugspunkt des Wertheimer Kreises von Georgeanern um Wolfgang Frommel, Percy Gothein und Edgar Baron Heyking war.

Dichter Wolf Wiechert (l.), Lars Ebert (M.) und Michael
Defuster, Letztere von der Stiftung Castrum Peregrini,
bei der Eröffnungsfeier.


Sonntag, 2. September 2012

Interessante Tage

Die Sommerpause neigt sich auch hier in Baden-Württemberg dem Ende zu, interessante Tage stehen bevor.  Einer davon wird am kommenden Donnerstag, 6. September 2012, die Eröffnung der neuen Ausstellung im Museum Schlösschen im Hofgarten in Wertheim sein, zu der wir auch zwei Gäste vom Castrum Peregrini in Amsterdam erwarten. Die Eröffnungsveranstaltung um 18 Uhr ist öffentlich.

Auf dem Inhalt der Ausstellung habe ich schon in einem früheren Beitrag hingewiesen. Für diejenigen, die sich mit den Georgeanern befassen oder sich ihnen zugehörig fühlen, mag von Interesse sein, dass in der Ausstellung auch Sabine Lepsius geb. Graef (1864-1942) vertreten ist, die ebenso wie ihr Ehemann Reinhold zum Freundeskreis Stefan Georges gehörte. Zu den Gästen in ihrem Berliner Salon zählten unter anderem Künstler wie Rainer Maria Rilke und Geistesgrößen wie Georg Simmel (bitte nicht mit dem anderen Simmel verwechseln!) oder Wilhelm Dilthey.

Wolfgang Frommels Verlag Die Runde veröffentlichte 1935, zwei Jahre nach dem Tod Georges, ihr Werk Stefan George – Geschichte einer Freundschaft. Die Verlagswerbung hob damals auf 13 faksimilierte Briefe Georges und zwölf bis dahin unbekannte Bildnisse ab: Zum ersten Male überhaupt werden hier Briefe Stefan Georges veröffentlicht, und ebenso enthält dieser Band das reichste Bilsdmaterial der gesamten George-Literatur. 

Verlagsprospekt von 1935

 Im Wallstein-Verlag ist 2010 das von Ute Oelmann und Ulrich Raulff herausgegebene Buch Frauen um Stefan George erschienen. Darin findet sich ein von Annette Dorgerloh verfasster Beitrag: »Sie war wenigstens amüsant“. Sabine Lepsius und Stefan George – eine Freundschaft sans phrase?«


Unter anderem um Briefe Wolfgang Frommels wird es Ende dieses Monats in der Beilage der Wertheimer Zeitung zur Michaelis-Messe 2012 gehen. Ich schreibe gerade an einem Artikel über seine Beziehungen zur Familie Langguth in Wertheim. Diese begannen 1920 und reichten bis in die 1960er Jahre.

Mittwoch, 18. Juli 2012

Heykings Gäste (III)


Drei aufmerksame Verfolger meines Blogs haben mich unabhängig voneinander darauf hingewiesen, dass es sich bei dem Heyking-Gast Dr. Heinz Pritschow um Goetz von Preczow-Frankenstein (1898-1974) gehandelt habe, den Willy Hellemann wohl in Detmold kennengelernt habe und der schon als Autor zum Runde-Verlag gehörte habe. Nach dem Krieg habe er regelmäßig Hellemann und Osthoffs im Tessin besucht.

Ein weiterer Leser des Blogs hat mir geschrieben, dass die von ihrem Träger bevorzugte Namensform  Preczow eine ältere sei. P. sei Kollege Hellemanns in Detmold gewesen. Von ihm sei  er mit Percy Gothein bekannt gemacht worden (gemeinsame Italienfahrt). P. sei auch mit Wolfgang Frommel befreundet gewesen. Der Mitteiler nennt als Veröffentlichungen: Autor im Band Gedichte einer Runde; Vergil-Übersetzung im Runde-Verlag, Veröffentlichungen im Castrum Peregrini; Gedichte und Übersetzungen Osthoff 1993; Lobgesang (Post-Presse).

Der dritte Leser schrieb: Lobgesang, (Gedichte, erschienen o.D. in der Herbert Post Presse München). Einen Überblick über Leben und Schaffen des von seinen Freunden »Götz« genannten Preczow (Pritschow) finden Sie in CP 118/ 1975 S. 66 ff. Er selbst habe Goetz flüchtig gekannt, ihn einmal 1952 im Heidelberger Atelier Friedrich Kotzenbergs, nahe der Alten Brücke, eindrucksvoll aus seinen Homer-Übertragungen die Nausikaa-Geschichte vorlesen hören.

Auch zu weiteren Personen kann der zuletzt Zitierte etwas beitragen. Ebenso wie Preczow erinnere er den stets braungebrannten Bonvivant Erich Burger, mit dem zusammen Gerhard Frommel nach dem Krieg zur Aufbesserung des kargen Dozentengehalts unterhaltsame Rundfunksendungen gemacht habe: »Von Schelmen und Schlemmern« habe ein Titel gelautet, dessen musikalische Ausgestaltung Gerhard Frommel übernommen habe. Christiane Kuby in Amsterdam (die ich bei dieser Gelegenheit herzlich als neue Mitleserin des Blogs begrüße, F.L.) habe eine Erzählung Wolfgang Frommels von einem frühen Traum notiert, in welchem Erich Burger eine Hauptrolle spiele.

Auch Hönl ist der Mitteiler Ende der 50er Jahre einmal im Tessin begegnet. Er erinnere sich nur noch, dass Hönl gemeint habe, Goethes Farbenlehre sei aus der Sicht eines modernen Physikers doch einiges abzugewinnen.

Nun mach' doch endlich mal ...

... ein Foto von meinem schönen Hibiskus! So erinnert mich meine liebe Frau seit Tagen an eine einmal flüchtig hingemurmelte Zusage, allerdings immer gerade dann, wenn wir dabei sind, das Haus zu verlassen. Das gute Stück steht nämlich neben der Haustüre. Jetzt hat sie mich jedoch in einem Moment erwischt, als es kaum noch eine nachvollziehbare Ausrede gegeben hätte. Ich wollte gerade auf der Terrasse die Beine hochlegen, um endlich noch einmal in Wolfgang Frommels Briefen an seine Eltern zu lesen, hatte in den Augen der besten aller Ehefrauen (pardon, Herr Kishon) also offensichtlich Zeit. Und was macht man als Ehemann einer besten aller Ehefrauen? Richtig!


Sonntag, 15. Juli 2012

Zeichen des Bundes

Am späten Nachmittag konnte ich heute aus meinem Arbeitszimmer heraus einen schönen Regenbogen sehen. Es berührt mich seit Kindertagen immer wieder, wenn ich die Brechung des Sonnenlichts an den Regentropfen vor mir sehe, obwohl das ja so selten nicht vorkommt. Es muss die alte biblische Geschichte aus der Genesis sein, in der ein Regenbogen als Zeichen des Bundes Gottes mit Noah dient, die bis heute das Gefühl von etwas Besonderem transportiert. Zufriedenheit und vertraute Geborgenheit greifen dann Platz. Ich mag den Regenbogen.


Samstag, 14. Juli 2012

Heykings Gäste (II)

Ergänzungen zur Liste der Gäste Edgar Baron Heykings hat mir in dieser Woche der Wertheimer Ehrenbürger Helmut Schöler (* 1930) zukommen lassen, der nach dem Krieg zuerst allein und später mit seiner jungen Familie bis 1966 selbst im Schlösschen gewohnt hat und mit Heyking befreundet gewesen ist. Er hatte mir auch bereits den Hinweis auf Siegfried von Vegesack gegeben.

Helmut Schöler schreibt: Einer der häufigsten Besucher war Pfarrer Willy Ratzel, einer der engsten, persönlichen Freunde Heykings. Er war »Mitglied« des Georgekreises oder stand ihm sehr nahe. Er sprach von George stets nur als vom »Meister«. Die georgeanischen »Freunde«, wie sie sich nannten, hätten Willy Ratzel oft in Bettingen am Main (heute eingemeindet in die Stadt Wertheim) besucht, wo er vor dem Krieg als Pfarrer tätig war. Man sei dann über den Umlaufberg bei Kreuzwertheim, das sogenannte Himmelreich, ans Mainufer gegenüber Bettingen gewandert und habe sich durch Rufen über den Fluss beim Fährmann bemerkbar gemacht.

Willy Ratzel war übrigens der Sohn des Pfarrers Ratzel, der in Wertheim die Hospitalpfarrei mit Waldenhausen betreut hatte. In seinem Pfarrhaus, Mühlenstraße 45, hatte von 1920 bis zu seinem Abitur 1922 Wolfgang Frommel gewohnt.

Willy Ratzel war nach dem Krieg hoch angesehener Pfarrer in Karlsruhe. Er hielt wiederholt im Radio die evangelische Weihnachtspredigt. Von Heyking erbte er das möglicherweise sehr wertvolle Bild »Madonna mit dem Kinde«, das im Hofgarten in Heykings kleinem Wohnzimmer hing, schreibt Helmut Schöler weiter.

Helmut Schöler erinnert sich auch der Besuche eines Herrn (von?) Pritschow, der von einer sehr kleinen Lehrerpension im engen Kontakt mit anderen dort lebenden Georgeanern im Tessin lebte. Er hatte sich wohl in jungen Jahren pensionieren lassen, was damals unter großem Geldverzicht möglich war, um sich ganz seiner Liebe zur Literatur zu widmen. Er war ein vor Kraft strotzender Mann und ein glänzender, amüsanter Erzähler. 

 Im Adressbuch Heykings findet sich ein Dr. Heinz Pritschow, der zunächst unter einer Adresse in Berlin-Lichterfelde verzeichnet ist, wo er offenbar als Lehrer tätig war. Später hat Heyking ihn unter einer Adresse in Freudenstadt notiert, wobei er diesmal einen Doppelnamen einträgt: Dr. H. Pritschow-Frankenstein.

Seite aus dem Adressbuch Baron Heykings

Zu Pfingsten kam des Öfteren der Freiburger Ordinarius für Physik, Prof. Helmut Hönl mit seiner Frau. Auch er gehörte eventuell sogar zum engeren Georgekreis. Die Hönls gehörten auch zu den persönlichen Freunden Heykings, berichtet Helmut Schöler weiter. Auch Hönl findet sich in Heykings Adressbuch, einmal mit einer Stuttgarter Adresse, die später durchgestrichen und durch eine Adresse in Freiburg-Zähringen ersetzt wurde. Ein späterer Eintrag vermerkt Helmut Hönl, diesmal ohne akademische Titel, mit einer Adresse in Ebnet bei Freiburg, »bei Zimmermann«. Ob Heyking Hönl aus seiner eigenen Freiburger Zeit vor dem Ersten Weltkrieg kannte, als er selbst dort Nationalökonomie studiert hatte, ist unbekannt.

Weiter Helmut Schöler: In den frühen 50er Jahren kam Dr. Burger, vermutlich ein Exponent der Heidelberger Literaturszene. Ich fand ihn aus anderen Gründen gut, denn er lieh mir sein Motorrad. Ich konnte mir noch keines leisten. 

Hier handelt es sich zweifellos um Dr. Erich Burger, der mit Heidelberger Adresse in Heykings Adressbuch steht. Er hatte schon Anfang der 1920er Jahre als Wertheimer Gymnasiast zum Freundeskreis um Willy Hellemann und seine Schüler, unter ihnen Wolfgang Frommel, gehört. Er war Bewohner des Wertheimer Melanchthonstifts, wo auch zu meinem Zeiten (Abitur 1966) noch manche Heidelberger Mitschüler wohnten, für die ein Schulwechsel in die Provinz angeraten erschienen sein mag. Burger schaffte es im März 1954 als stellvertretender Vorsitzender und Geschäftsführer im Zentralverband südwestdeutscher Rundfunkhörer sogar einmal in das Magazin Der Spiegel, doch bin ich sicher, dass dieser Nebenaspekt ihn als Person nicht  hinreichend beschreibt.

Wer zu den erwähnten Gästen Heykings weitere Ergänzungen beitragen kann oder weitere Gäste benennen kann, ist herzlich gebeten, sich an mich zu wenden. Wer an meinem 2006 erschienenen Artikel Hamlet und die Prominenz über die Wertheimer Runde zwischen den Weltkriegen interessiert ist, darf sich gern um eine PDF-Kopie an mich wenden. Gleiches gilt für die Artikel meiner Schwester Sabine, Gründerin und Inhaberin der Kulturwerkstatt Tübingen, die in mehreren längeren Artikeln über die Bewohner des Schlösschens zwischen der Mitte des 19. Jahrhunderts und 1996 geschrieben hat. Breiten Raum nehmen darin natürlich die 25 Jahre Edgar v. Heykings und seine Zöglinge ein.

Samstag, 7. Juli 2012

Heykings Gäste (I)

Edgar v. Heyking (1891-1956), baltendeutscher Baron aus Gr. Iwanden in Kurland, kam 1925 als Gesellschafter des Fürsten Ernst zu Löwenstein-Wertheim-Freudenberg nach Wertheim bzw. Kreuzwertheim. Als dieser 1931 kinderlos starb, wurden Heykings Dienste von seinem Neffen und Nachfolger, Fürst Udo, nicht mehr benötigt. Dem Baron wurde die ehemalige fürstliche Sommervilla, das sogenannte Schlösschen im Hofgarten, als Wohnung überlassen. Seit der zweiten Hälfte der 1860er Jahre bis 1996 war die geräumiger Immobilie ständig vermietet, meist an mehrere Parteien. Heute ist das Schlösschen ein Kunstmuseum und samt Park im Eigentum einer Stiftung.

Baron Heyking lebte hier von 1931 bis zu seinem Tod 1956. Nach dem Verlust des großen Familienbesitzes im Baltikum lebte er in wirtschaftlich sehr beengten Verhältnissen und hielt sich unter anderem durch den Betrieb eines kleinen Pensionats für externe Wertheimer Gymnasiasten über Wasser, denen er humanistische Werte zu vermitteln suchte.

Etliche Freunde, die meisten wie Heyking selbst Anhänger oder gar Freunde des Dichters Stefan George (1868-1933), besuchten während der 25-jährigen Ära Heyking das Schlösschen. Manche kamen nur einmal, andere häufiger und regelmäßig. Darüber gibt es eine Reihe von Berichten. Im Säulentempel im Park deklamierte man Gedichte Georges und anderer aus seinem Kreis.

Der "Wertheimer Kreis" oder die "Wertheimer Runde" hatte sich in den Jahren 1920/22 gebildet, also lange vor dem Eintreffen Heykings in Wertheim 1925 und vor dem Umzug ins Schlösschen 1931. Jedoch gehörten viele davon später zu den Besuchern im Schlösschen. Ich möchte versuchen, den Kreis der Besucher, der über andere lokale Zusammenhänge hinausreichte, festzuhalten, und bitte um Mitteilung, falls meine Liste ergünzt werden kann.

Sicher in Wertheim bei Heyking zu Gast war der baltendeutsche Adlige und Schriftsteller Siegfried v. Vegesack (1888-1974). Allerdings scheint er keinen georgeanischen Hintergrund gehabt zu haben, sondern war vermutlich eher ein Bekannter oder gar Verwandter aus dem baltischen Kontext.

Verbürgt ist auch die zeitweilige Anwesenheit von Wolfgang Frommel (1902-1986), Percy Gothein (1896-1944), Achim v. Åkerman (1909-1945) und von Alexandra Röhl (1899-1976), der Mutter von Heykings erstem Zögling, Thülö Röhl (1920-1943). Bisher weiß ich nicht, ob Willy Hellemann (alias Hans Boeglin, 1893-1969) je wieder in Wertheim war, nachdem er in den 1920er Jahren seine Frau und zwei kleine Kinder hier hatte sitzen lassen. Sicher im Schlösschen war auch der eine oder andere Wertheimer Freund, ohne dass ich darüber im Detail genaue Nachricht hätte.

Nachweislich waren vor dem Krieg Prof. Dr. Joachim Wach (1898-1955), Religionswissenschaftler aus Leipzig und Mendelssohn-Bartholdy-Enkel, und Ernst Morwitz (1887-1971), Jurist, Schriftsteller, Übersetzer und Hochschullehrer, im Schlösschen zu Gast. Vor und nach dem Krieg hielt sich der Maler Fritz Kotzenberg (alias Friedrich Martinotto) gelegentlich bei Heyking auf – und zeichnete ihn und andere Freunde.

Nach dem Krieg war das Schlösschen für viele verabredeter Treffpunkt. So traf beispielsweise Achim v. Åkermans Witwe Rosemarie v. Åkerman mit ihrem 1944 geborenen Söhnchen hier ein. Auch Angehörige des 1934 von Gothein in Hermannstadt begründeten »Siebenbürgener Kreises« wandten sich nach Kriegsende nach Wertheim, darunter Siegfried Baumann (*1918), sein Bruder Helmut, der Musiker Heim Harro Scheiner und der Künstler Silvio Siermann (*1926).

Aus Wolfgang Frommels neuer Heimat Amsterdam und dem Umfeld des Castrum Peregrini haben ihn nach dem Krieg unter anderem Manuel R. Goldschmidt und Friedrich W. Buri bei einem seiner Besuche in Wertheim begleitet. Ob sie auch bei Heyking waren, was man vermuten könnte, ist mir nicht sicher bekannt.

Wer hat Belege für Besuche weiterer Künstler und Intellektueller als Gäste im Schlösschen?

Im Lazarett Goldberg/Schlesien am 20. Juli 1943:
Achim v. Akerman (vorn), seine Frau Rosemarie
und Edgar Baron Heyking

Dienstag, 3. Juli 2012

Frommels »Aufsaetze«

Als kleinen Appetithappen für alle, die sich für Wolfgang Frommel und seine Freundeskreise interessieren, habe ich hier ein vor drei Tagen gescanntes Deckblatt eines Aufsatzheftes aus dem Deutschunterricht in der Oberprima 1921/22 des Wertheimer Gymnasiums. Das Innere des Heftes habe ich natürlich auch komplett gescannt. Es harrt nun der Transskription und Auswertung.


Freitag, 29. Juni 2012

Berliner Secession (weiblich)

In unserem Kunstmuseum Schlösschen im Hofgarten beginnt im September eine spannende Ausstellung, zu der neben vielen Werken aus dem eigenen Bestand der Stiftung (Sammlung Wolfgang Schuller) Leihgaben aus deutschen Museen und aus den USA zusammengeführt werden:

Wir sind keine Randnotiz! Käthe Kollwitz und ihre Kolleginnen
in der Berliner Secession (1898-1913)

Donnerstag,  6. September, bis Sonntag, 4. November 2012

Gezeigt werden Gemälde und Grafik von Käthe Kollwitz, Charlotte Berend-Corinth, Sabine Lepsius, Maria Slavona, Dora Hitz, Ernestine Schultze-Naumburg, Julie Wolfthorn, Clara Siewert sowie Plastiken von Renée Sintenis.

Im Anschluss an Wertheim wird die Ausstellung außerdem noch in der Berliner Liebermann-Villa am Wannsee zu sehen sein.

Schlösschen im Hofgarten, 1863 von Theodor Verhas gezeichnet

... und heute, nach der Sanierung

Frommels Freunde (IV)

Ein beliebter Treffpunkt der Wertheimer Runde war in den 1920er und frühen 1930er Jahren das Stübchen im Johannisturm der Wertheimer Burg. Ursprünglich als "Wandervogelbude" durch den Gymnasiallehrer Willy Hellemann und seine Schüler in Beschlag genommen, blieb der Ort auch beliebt bei den Freunden Hellemans, die sich gleich ihm als Georgeaner fühlten und gaben.

Percy Gothein (1896-1944) zog sich ebenso zum Arbeiten nach hier zurück wie sein Freund Wolfgang Frommel (1902-1986), der hier 1931 an seiner Schrift "Der dritte Humanismus" arbeitete. Diese erschien unter seinem Pseudonym Lothar Helbing und fand bei Zeitgenossen große Anerkennung, darunter seinem Freund, dem Orientalisten und preußischen Kultusminister Carl Heinrich Becker (1876-1933).

Es gibt einige zeitgenössische Aufnahmen dieser noch heute existierenden Stube, die aber fast nur den leeren Raum zeigen. Diese Aufnahme ist die einzige mir bekannte, die auch Personen zeigt. Sie stammt aus einem Fotoalbum aus der Familie Schüssler. Der Vater war Amtsgerichtsrat in Wertheim. Der Sohn gehörte in den 1920er Jahren wohl zum Freundeskreis, orientierte sich in den 1930er Jahren jedoch in Richtung Nationalssozialismus und wurde als junger Architekt zu Beginn des Dritten Reiches Schöpfer des Ehrenmals auf dem Kaffelstein in Kreuzwertheim.

Vermutlich zeigt das Foto rechts die Tochter der Familie Schüssler. Die linke Person wird sicher nicht mehr identifiziert werden könnnen. Aber wer könnte der junge Mann in der Mitte sein?


Donnerstag, 28. Juni 2012

Frommel zitiert Jacob Burckhardt

Heute war ich bei einem sehr guten alten Bekannten, der eine ganze Generation älter ist als ich, um mit ihm über das Verhältnis seiner Familie zu Wolfgang Frommel zu sprechen. Es war ein spannender und gewinnreicher Nachmittag drüben, auf der ander anderen Seite des Mains. Der alte Herr las mir etliche Briefe Frommels an seinen Vater und später an ihn selbst vor. Einem guten Vorleser zuzuhören, ist immer ein Gewinn. Es ist anders als das Lesen, unmittelbarer, näher.

In einem Brief vom 21. Juli 1930 aus dem Elternhaus in Heidelberg, wohin er sich vorübergehend aus Berlin wegen einiger Überanstrengungssymptome geflüchtet hat, schreibt der ein paar Tage zuvor 28 Jahre alt gewordene Frommel einige interessante Sätze, die sich auf die Gründungsphase des Berliner Verlages Die Runde zu beziehen scheinen, und ein Zitat Carl Jacob Burckhardts zur Lage Europas bringen, das heute, am Abend des Brüsseler Gipfels, irgendwie in die Landschaft passt.

„Ich helfe zurzeit einem Bekannten bei der (Errichtung?) eines aussichtsreichen und glänzend begutachteten Verlags, wobei es sich um die Beschaffung kleiner, gut verzinster Anteilbeträge handelt. Es ist furchtbar zu sehen, welche unendliche Mühe es kostet, heute in Deutschland trotz vorzüglicher Beziehungen auch nur in beschränktem Maße Kapital zur Arbeit flüssig zu machen. Französische Banken haben ihre Hilfe angeboten, weil sie anscheinend nicht wissen, wohin mit ihrem Geld. Vor einigen Tagen las ich in den Briefen des bedeutenden Basler Gelehrten Jacob Burckhardt an einen Architekten 1881 schon einen Satz, der mir nicht aus dem Kopf gehen will: Mich überkommt bisweilen ein Grauen, die Zustände Europens möchten einst über Nacht in eine Art Schnellfäule überschlagen mit plötzlicher Todesschwäche der jetzigen, scheinbar erhaltenden Kräfte.

Samstag, 23. Juni 2012

Samstagsgeknatter

Den ganzen Winter hatte man sich auf das Frühjahr und den Sommer gefreut. Natürlich auch, weil man immer wieder vergisst, was die Jahreszeit so alles mit sich bringt, die gerade nicht herrscht, und weil man sich deshalb nach ihr sehnt.

So heiß, dass man sich ein bisschen Schnee und Frost mit Sonnenschein gewünscht hätte, war es dieses Jahr bisher noch nicht. Man könnte also den lange ersehnten Sommer entspannt genießen. Auch ich täte dies sehr gern   ̶ wenn ich nicht seit letztem Sommer wieder vergessen hätte, dass der Samstag ja der Tag des obsessiven Rasenmähens in der Nachbarschaft ist. Kaum sitze ich entspannt auf der Terrasse und versuche, ein bisschen zu twittern, geht das Geknattere und Gesurre los. Während ich hier mein Klagelied tippe, fängt obendrein eine Nachbarin an, Teppiche auszuklopfen.

Sieben Millimeter ist ein Maß für den Rasen, über dass sich jemand, der sich seinen weißen Haarkranz alle zwei Wochen auf drei Millimeter kürzen lässt, eigentlich nicht kritisch äußern dürfte. Allerdings hat der fast kahle Kopf kaum Auswirkungen auf Fauna und Flora   ̶ im Gegensatz zum Eingriff ins Grün.

Der Nachbar drei Häuser weiter gegenüber hat es viele Jahre lang eigentlich allen vorgemacht, wie es auch sein kann und wie es sein sollte. Zweimal im Jahr schnitt er seine »wilde« Blumenwiese, die jeder Passant bestaunte wegen ihrer Blütenpracht, und oft hatte man den Eindruck, dass sich alle Bienen und Schmetterlinge der Nachbarschaft bei ihm trafen, ebenso die Amseln bei ihrer offenbar erfolgreichen Suche nach Futter. Ein wunderschönes Stück kultivierter Natur!

Vor ein paar Wochen ist der Nachbar gestorben. Noch merkt man es der Wiese nicht an, an deren mit Blumen bepflanzter Umrandung er sich gärtnernd so oft zu schaffen machte   ̶ die letzten Jahre nur noch im Sitzen, weil der Kreislauf nicht mehr recht wollte. Hoffentlich bietet sich der Witwe kein hilfreicher Nachbar an für einen Sieben-Millimeter-Schnitt der Wiese. Nicht nur wegen des Samstagsgeknatters.